Fußball: Ja spinnen die alle?

Nicht ganz todernste Expertise zu einem bedrohlichen Massenphänomen…

Kopf schütteln oder Ball kicken – ja spinnen die alle?

22 Männer in Unterhosen und 1 Ball: Spinnen die alle?

Wie können bloß 22 erwachsene Männer immer wieder einem Ball nachlaufen? Wie können bloß Millionen erwachsene Männer (und Frauen!) Essen und Trinken vergessen (nein, das Trinken vielleicht weniger!) und hysterische Anfälle bekommen, je nach dem, auf welcher Seite der Ball gerade herumhüpft? Wie können bloß ganze Nationen Lebensgefühl und Wertigkeit von einem Spiel (wirklich nur Spiel?) abhängig sein lassen, bei dem von vorneherein klar ist, dass es nur einen einzigen Gewinner gibt, aber jede Menge Verlierer? Spinnen die alle?

Sportlerseelen im Gleichklang.

Was hören wir hier? Tausendfaches Jaulen, die Menge tobt, es geht um viel, es geht um Alles. Die Stimme des Stadionsprechers überschlägt sich vor Aufregung. Vulkan ausgebrochen? Pompej erneut verschüttet? Tsunami im Anmarsch? Bier alle? Nicht auszudenken! Echte Katastrophe oder spinnen die alle? Höchste Zeit, den Blick kurz abzuwenden für eine „globale“ Betrachtungsweise:

Die Erde ist keine Kugel.

Sondern ein Ball. Ein Fußball. Und um diesen dreht sich die ganze Welt. Zumindest für einige Zeit. Herzen schlagen höher (oder vor Aufregung gar nicht mehr), die Wirtschaft boomt (ja auch die Wirtschaften, also die Gastwirtschaften), Fremde fallen sich in die Arme (oder übereinander her, je nach Parteinahme), die Straßen sind ausgestorben und in den Fenstern flackert der Wiederschein von Geschehnissen eminenter Bedeutung. Ab- und anschwellendes Gebrüllt weht verlaufsbedingt über die verwaisten Gassen. Und wehe, jene Mannschaft gewinnt, deren Anhänger die Mehrheit stellen: der jeweilige Ort (in abnehmender Gefährlichkeit: Stadt, Ort, Dorf, Weiler, Haus, Hütte, Zimmer) erlebt akustisch-verkehrtstechnische Erschütterungen geradezu tektonischer Ausmaße. Und Nicht-Fußballfans wissen, jetzt spinnen die alle. Rette sich, wer kann.

Wie jedes Kinderfieber vergeht auch dieses bald wieder.

Und je hitziger die Anfälle, je höher die Temperatur, desto deutlichen am Ende die Katharsis. Kaharsis ist ja bei Aristoteles definiert als seelische Reinigung als Wirkung der antiken Tragödie. Ob wir nun das Geschehen um den Ball als Tragödie ansehen wollen, eher als Komödie oder einfach neutral als Drama, kann zum Glück jeder selbst entscheiden. Und – je nach Feuerkraft der Hooligans – können wir auch noch die psychologische Definition von Katharsis hernehmen: „psychische Reinigung und seelische Läuterung durch Ausleben innerer Konflikte und verdrängter Emotionen, speziell von Aggressionen“. Kann man in jedem Psychologie-Lexikon nachlesen. Demzufolge arbeiten Kaharsis-Therapien mit der „Urschreitechnik“ um gestörtes Verhalten zu heilen. Vorher spinnen die alle, nachher geheilt. Ende der Durchsage.

Ich gebe es zu:

Diese Zeilen sind möglicherweise nicht gaaaanz objektiv und vielleicht sogar ein weeeenig ironisch. Wenn Sie also Fußballfan sind, wünsche ich Ihnen daher spannende Momente mit dem runden Leder (obwohl, da will ich schon präzise sein: weder „rund“, also nix runde Sache, sondern „Ikosaederstumpfförmig“ und auch kein „Leder“, also nix Natur, sondern synthetisch!) und dass auf jeden Fall IHRE Manschafft gewinnt, möglichst knapp, weil spannend und doch eindeutig, weil Sie das immer schon gesagt haben. Sollten Sie hingegen durch und durch ein Fußballmuffel sein, so wie ich (vielleicht haben Sie das schon leise vermutet) und kein Liebhaber von Umkleidekabinen, Schweißsocken und Krampfadern (OK, passt nicht hierher, das andere aber kann ich hier nicht schreiben), dann, ja dann wünsche ich uns wenigen Aufrechten die wunderbare Freiheit alles tun zu können, was wir nur immer gerade wollen, völlig ungestört, da alle anderen total beschäftigt sind: die Stadt gehört uns!

Foto: Ein richtiger Mann hat jetzt nur mehr eines in der Hose – äh, im Kopf.
Fotomontage: TELOS

Oh, ich muss jetzt schließen:

Ich höre den Anpfiff, das erste Spiel beginnt gerade, das möchte ich auf keinen Fall versäumen.
Eilige Grüße, Ihr
Dr. Elmar Teutsch – Psychologe und Psychotherapeut (und vielleicht doch Fußballfan?)

P.S.:

Wer glaubt, dass es außer Fußball noch andere wichtige und spannende Sachen gibt, findet viele gute Alternativen, zum Beispiel unsere Seminare und psychologischen Beratungen. Und wer das interessant findet, kann ja mal hier unten weiter lesen …