Der Satz "Ich bin so frei" heißt leider oft "ich bin nicht so frei…"!
Ist ein glückliches Liebesleben für jeden erlaubt? Wirklich für jeden? Wir zeigen hier, wie viele Vorurteile bei diesem Thema lauern und wollen Mut machen zu freierem Denken und offenerem Gespräch in der Partnerschaft. Zum Einstieg eine tragische Fallgeschichte: Carmen aus Sterzing, 45, unfallbedingt inzwischen Vollzeitmama (alle Namen und Daten geändert), weiß nicht mehr weiter:
Mein Sohn hat mit 23 Jahren einen schweren Motorradunfall gehabt und ist seither mit gravierenden Hirnschäden stark körperbehindert: Lähmungen an Armen und Beinen, Sprech- und Schluckbeschwerden und einiges mehr. Zum Glück ist er in einer guten Reha-Klinik untergebracht, wo sich das Personal sehr um ihn kümmert und zum Glück habe ich die Möglichkeit, sehr viel bei ihm zu sein. Bei einer Sache bin ich allerdings ratlos: Er ist ein junger Mann und hat sexuelle Nöte, vor allem seit es ihm wieder besser geht. Selbstbefriedigung klappt nicht wegen nur teilweise funktionsfähiger Hände und wenn seine Freundin kommt, hilft das auch nichts, weil die nötige Ungestörtheit im Krankenzimmer nicht gewährleistet ist. Und es geht hier nicht um ein paar Wochen, sondern eher um Jahre, vielleicht um den Rest seines Lebens. Was kann er bloß tun?
Nun, wir sind aufgeschlossene Bürger des 21sten Jahrhunderts und erkennen natürlich jedem Erwachsenen das Recht zu auf ein erfülltes Liebesleben. Wirklich jedem? Oder gibt es Bevölkerungsanteile, denen wir keine sexuelle Bedürfnisse zuerkennen und schon gar keine erotische Betätigung? Je enger die Berge, desto klammer die Moral und so klammern wir am liebsten aus, was nicht sein soll, weil wir nicht damit umgehen können.
Ist ein Liebesleben für jeden erlaubt? Was ist zum Beispiel mit Langzeitkranken und körperlich oder geistig Behinderten? Dürfen die auch wollen? Oder haben sie nichts zu spüren und keine Bedürfnisse zu haben? Klar: bei geistiger Behinderung haben die Verantwortlichen erst recht darauf zu achten, dass es weder zu Missbrauch kommt, noch zu unerwünschten Folgen 9 Monate später. Bestimmt heikle ethische und moralische Fragen, doch deshalb diesen Menschen jedes Recht auf Sexualität abzusprechen, hat vermutlich mehr mit eigenen Problemen in dieser Thematik von Seiten der Verbieter zu tun, als mit sachlichen Argumenten.
Bild: Der Stuhl ist alt, die Schrift verschnörkelt, das Herz ein Loch …
Wie frei sind wir wirklich?
Foto + Grafik: TELOS
Und was ist eigentlich mit anderen Gruppen von Pflegebedürftigen? Unsere Referenten sind viel in Krankenhäusern unterwegs, um dort in Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen Mitarbeiter zu schulen: ein dort immer wieder gefragtes Thema heißt „Umgang mit Sexualität in Pflege und Therapie“. Die Tatsache, dass es meist viel mehr Interessenten gibt, als freie Plätze, zeigt die Brisanz der Situation – Carmens Sohn ist leider kein Einzelfall!
Zum Glück beginnen Rehakliniken und Langzeitkrankenhäuser sich zunehmend auch mit den sexuellen Nöten der Insassen auseinander zu setzen. Separate Räume bieten Abgeschiedenheit und Diskretion für den Besuch der Partner, Paravents am Krankenbett sichern ein Minimum an Diskretion, damit der Patient sich selbst Erleichterung schaffen kann und eigene Sexualassistentinnen, oft auch „Berührerinnen“ genannt, geben den Patienten Zärtlichkeit, Anerkennung und Entspannung. Wo noch möglich, fördert dies den Heilungsprozess und in jedem Fall Wohlbefinden und Würde des Patienten. Auch die gar nicht so seltenen sexuellen Belästigungen durch Langzeitpatienten nehmen, wie Pflegekräfte und therapeutisch Tätige immer wieder berichten, dadurch ab. Verständlich, oder?
Der konkrete Rat für Carmen ist also: Wenden Sie sich in der Reha-Klinik an eine erfahrene Vertrauensperson und erläutern Sie die Nöte Ihres Sohnes. Trauen Sie sich, darüber zu reden, denn es gibt Lösungen für dieses Dilemma – sogar im heiligen Land Tirol.
Darf er es so machen, wie weiland Herr Onan, der laut Bibel seinen Samen auf die Erde vergoss? Wobei die Namensgebung für diese Tätigkeit eigentlich gar nicht zutrifft, da Onan nicht das praktizierte, was wir heute Onanie nennen, nämlich, „Liebe an und für sich“, sondern Coitus interruptus mit der Witwe seines Bruders. „Selbstbefriedigung ist schließlich Sex mit jemandem, den man liebt“, formulierte es US-Regisseur Woody Allen. So locker lästern nur wenige, in der Regel ist das Thema tabuisiert.
Die Weltreligionen verurteilen Onanie seit jeher als eine Art „Samenraub“ an sich selbst: was nicht fruchtet, dürfe nicht sein und sei schädlich für Körper und Geist. Der Geruch von „Schande“ zieht durch die Gesellschaft. „Echte Männer legen reihenweise Frauen flach, aber keinenfalls Hand an sich!“, behauptet der Macho.
Bild: Was ist dem Mann das Wichtigste?
Foto: TELOS
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Die Sexualstatistik sagt allerdings was ganz anderes: laut einer US-Studie bekennen sich mehr als 60 Prozent aller Männer und 40 Prozent der Frauen freimütig zu regelmäßiger sexuellen Eigenliebe. Und der Durex-Sexualreport weiß noch detaillierter, wie oft und in welchem Land die Teilnehmer dieser Umfrage sich gerne selbst vergnügen:
„Gelegentlich“: Schweiz 96%, Österreich 95% und so weiter.
In der Kategorie „wöchentlich“ führen ebenfalls die Schweizer mit 46%, gefolgt von Thailand (44 Prozent), Brasilien (43), Indien, Niederlande, Kanada und Großbritannien (41), Deutschland (40) sowie Spanien, Österreich und Singapur (39 Prozent).
Was bei Männern onanieren heißt, nennt man für beide Geschlechter Masturbation und wird in der Frauenwelt gern noch heftiger geleugnet. Ein anständiges Mädchen tut sowas nicht! Gilt dann diese Variante nicht mehr als „Liebesleben für jeden“? Wie „moralisch“ ist es, etwas zu verschweigen und unter den Teppich zu kehren, das die Sexualwissenschaft ausdrücklich empfiehlt?
Was in manchen Ländern verpönt ist, wird in anderen resolut verboten. Die Wissenschaft sieht das unvoreingenommen, sexuelle Orientierung kann grundsätzlich hetero-, homo- oder bisexuell sein. Doch wie ist das für Herrn und Frau Jedermann? Wenn sich 2 Frauen lieben, schaut der wack’re Mann ganz gerne hin, vielleicht kann er ja noch dazu „stoßen“ und denkt sich, „die haben nur noch nie einen richtigen Mann erlebt, sonst würden sie nicht so was tun, denen wird’ ich’s zeigen, hä, hä …“. Wenn es 2 Männer miteinander machen, tut er das, getragen von männlicher Homophobie, hingegen gleich als Schmuddelsex ab. Ja schon bei einem gleichgeschlechtlichen Kuss in der Öffentlichkeit winkt Skandal und Schlimmeres. Haben Menschen, die anders lieben, also doch keinen Anspruch auf sexuelle Erfüllung? Da sind schon einige Kurven und Winkelzüge nötig, um das zu verbieten …
Sicher können wir uns die eigenen Eltern schwerlich beim Liebesspiel vorstellen. Müssen wir auch nicht. Anderseits: einmal müssen sie es schon getan haben, sonst gäbe es uns ja nicht. Fix ist: auch ältere Menschen haben sexuelle Wünsche und Bedürfnisse und je aktiver sie sind, desto glücklicher ist ihre Beziehung und desto zufriedener sind sie. Denn befriedigt heißt zufrieden. Und obendrein leben glückliche Menschen nicht nur besser, sondern auch länger. Und wenn wir nicht gerade auf ein baldiges Erbe hoffen oder einen Pensionsfond verwalten, sollten wir das allen Alten von Herzen gönnen!
Darf ein Ausländer eine Einheimische? Denken Sie an das Skandalplakat mit den 2 Pferden, das der italienische Fotograf Oliviero Toscani für Benetton geschaffen hatte und das für weltweite Empörung sorgte, so dass es in manchen Ländern wieder abgehängt werden musste. Nicht weil es die beiden Tiere bei der natürlichsten Sache der Welt zeigt, sondern weil ein Schwarzer (Hengst) eine Weiße (Stute) bespringt.
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Bild: Großplakat mit Benetton-Skandal-Werbung.
Lieber schnell wegschauen?
Schnappschuss und Grafik: TELOS
Das Motiv dieses Plakates bringt das Blut des Rechtschaffenen in Wallung und Ängste steigen auf, „Die Einwanderer nehmen uns die Frauen weg“, inklusive der Urangst des Weißen: „Der schwarze Mann hat IHN länger“! Eskimos sahen das immer schon lockerer. Da sie sehr isoliert wohnten, war jeder Besuch eines Fremden ein willkommener Anlass, Inzucht vorzubeugen und den Genpool des eigenen Iglus aufzufrischen durch die ausdrückliche Einladung, „mit meiner Frau zu lachen“. So praktizierten sie aktiv Liebesleben für jeden. Sicher: andere Orte, andere Zeiten, andere Häufigkeiten. Und doch könnten wir vielleicht das Benetton-Plakat zum Anstoß nehmen, die eigenen Scheuklappen (um im Pferdekontext zu bleiben) etwas zu weiten …
Bild: Weiß liebt schwarz, schwarz liebt weiß – darf das sein?
Foto: Anonymisierte Aufnahme aus unserem Archiv
Um so schlimmer, wenn es sich nicht um Pferde, sondern um echte Menschen handelt. Da wollen wir lieber nicht genau hinsehen und besser durch Milchglas die Realität verschwimmen lassen… Die Realität zum Beispiel, dass sich eine Teilnehmerin aus einer unserer Gruppen tatsächlich bei einem Afrika-Urlaub verliebt hat und nach langem Zögern und Überlegen beschlossen hat, ihrem Herzen zu folgen und dorthin gezogen ist. Darf sie das? Wer soll das beantworten, wenn nicht sie selbst?
Dabei fängt Toleranz nicht in fremden Ländern an und nicht vor der eigenen Haustür, sondern in Kopf und Seele jedes Einzelnen. Erst dann kommt bei unserem Titel „Liebesleben für jeden?“ am Ende nicht ein Fragezeichen, sondern ein schlichter Punkt. Sprechen Sie daher mit Ihrem Partner – und zwar ganz offen auch über diese heiklen Themen.
Bild: Installation „Adam und Eva“ im Centre Pompidou in Paris.
Schon die beiden mussten raus aus dem Paradies …
Foto: TELOS
Sehr hilfreich für den Einstieg kann da das 39seitiges Arbeitsbuch „Erotik“ sein mit dem großen Vergleichstest aus unserer Reihe Homelearning >> Die 500 spannendesten Teilnehmer-Antworten aus unseren Seminaren können Ihnen einen Weg ebnen, mit Ihrem Partner ins Gespräch zu kommen. Jetzt für kurze Zeit im Gratisdownload:
Wenn das Thema „Sexualität“ Ihr Lebensgefühl ernsthaft beeinträchtigt? Dann zögern Sie nicht länger, sich professionelle Hilfe zu holen. Es gibt Wege, es gibt Lösungen. Hier zwei besonders bewährte Hilfen aus unserem „Medizinkasten“:
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Mag. Magdalena Gasser
Institutsleitung, Personalentwicklung, Coaching